20. November 2025

Gesundheitsunterschiede sichtbar machen Gesundheitsunterschiede sichtbar machen

Studierende erstellen einen Gesundheitsatlas für Bonn

Ein Gesundheitsatlas stellt jetzt für die Menschen in Bonn mehr Durchblick bei der Verteilung von Gesundheitsressourcen her. Studierende des Geographischen Instituts der Universität Bonn haben fünf Themenfelder untersucht und stellen aktuelle Informationen im Gesundheitsatlas bereit. In Zusammenarbeit mit dem multidisziplinären und multiprofessionellen Gesundheitskollektiv haben Prof. Dr. Carsten Butsch und Dr. Anna Schoch-Baumann vom Geographischen Institut der Universität Bonn mit Studierenden in einem Service-Learning-Projekt „Gesundheit und Umweltgerechtigkeit in Bonn“ den neuen Gesundheitsatlas für die Stadt Bonn aus der Taufe gehoben. Der Atlas wird kontinuierlich weiterentwickelt. Die nächste Auflage wird im Sommersemester 2026 erarbeitet.

Der Gesundheitsatlas ist erschienen
Der Gesundheitsatlas ist erschienen © Mareike Frank/GIUB
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Im Vergleich zu anderen Städten ist Bonn überdurchschnittlich wohlhabend. Aber es gibt innerhalb der Stadt starke Einkommensunterschiede. Das zeigt der aktuelle Bonner Sozialbericht. Diese Einkommensunterschiede bestimmen die Lebensbedingungen. Menschen mit geringerem Einkommen sind oftmals höheren Umweltbelastungen ausgesetzt. Gemeinsam mit materiellen und immateriellen Ressourcen nehmen Einkommensunterschiede daher entscheidenden Einfluss auf den Gesundheitszustand. Faktoren wie beispielsweise die Wohnqualität oder auch die Hitze- und Lärmbelastung beeinflussen, wie gesund und sogar wie lange Menschen leben. 
Diese Faktoren können von Betroffenen nicht selbst durch Verhaltensänderungen direkt beeinflusst werden, sondern stellen eine ganzheitliche Herausforderung für die Gesellschaft dar. Um sich dem Ideal der „Gesundheitsgerechtigkeit“ anzunähern, wie es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) versteht, muss jede Person eine gerechte Chance haben, so gesund wie möglich zu leben. Ungerecht verteilten Risiken muss dazu aktiv begegnet werden.

Neben den Risiken sind auch die gesundheitsfördernden Faktoren ungleich verteilt. In Bonn gibt es große Unterschiede im Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen. Menschen sollten aber unabhängig von Vermögen oder konkretem Wohnort in Bonn medizinische und psychotherapeutische Behandlung und Unterstützung suchen und erhalten können. Hierfür setzt sich unter anderem das Gesundheitskollektiv ein. Alle Interventionen sollten ganzheitlich auch die sogenannten sozialen Determinanten von Gesundheit berücksichtigen. Dazu gehören auch Informationen über Handlungsmöglichkeiten im Konflikt mit einem Vermieter, wenn beispielsweise Hitzeschutz fehlt oder Lärmschutz dringend benötigt wird. Prävention ist ein Schlüssel für Gesundheitsgerechtigkeit. Fundierte Argumente sind gefragt und entsprechend müssen belastbare Daten erhoben bzw. aufbereitet werden.

Chancen für eine räumliche Perspektive: Argumente brauchen Daten

Dazu haben Prof. Dr. Carsten Butsch und Dr. Anna Schoch-Baumann vom Geographischen Institut der Universität Bonn mit Studierenden des Projektseminars „Gesundheit und Umweltgerechtigkeit in Bonn“ einen Gesundheitsatlas für die Stadt Bonn erstellt. “Nur wenige Kommunen haben die Möglichkeit, die räumliche Perspektive zu integrieren”, erklärt Prof. Dr. Carsten Butsch, „weil das nicht vorgeschrieben ist und eine freiwillige Zusatzaufgabe bedeutet. Dabei ist es für Präventionskampagnen wichtig zu wissen, wo Probleme auftreten. Der Gesundheitsatlas, den die Bonner Studierenden jetzt erstellt haben, soll zeigen, welche Chancen räumliche Auswertungen bieten. Wir hoffen, dass wir vor allem mit den Karten im Atlas Interesse an der geographischen Perspektive auf Gesundheit wecken können“, so Butsch weiter.
Gesundheitsrelevante Themen werden in dem Atlas in Verbindung mit sozialen und Umweltaspekten betrachtet. Studierende stellen dabei ihre Leistungen in der Lehre in den Dienst an der Gemeinschaft und befassten sich mit den Themen Hitze und Gesundheit, kinderärztliche Versorgung, Grünflächenzugang für gebrechliche Personen, Soundscapes am Bonner Talweg und die Rheinaue als Therapeutische Landschaft.

Hitzeschutz und Kinderarztpraxen

Im Bereich Hitzebelastung weisen die Studierenden auf einen wesentlichen Aspekt für die künftige Entwicklung des Gesundheitsschutzes hin: Nicht alle Personen sind gleichermaßen betroffen. Vulnerable Gruppen sind nicht allein „Alte“ und Kinder, sondern auch Menschen, deren Wohnung beispielsweise zu klein oder nicht isoliert ist. Die Studenten David Kemmerich und Marco Munsch haben die Mietpreise in Abhängigkeit von der Etage ermittelt und in Mehrfamilienhäusern die Zimmertemperatur auf verschiedenen Etagen gemessen. Ein wesentliches Ergebnis: Unter dem Dach, wo der Hitzestress gesundheitsgefährdend werden kann, sind die Mieten geringer. Und: Es sieht so aus, dass Menschen mit höherem Einkommen in kühleren Wohnungen wohnen können. 
Eine neue Perspektive auf die kinderärztliche Versorgung entwickelten Jovana Kovic und Maren Misiorny. Während bisher vor allem historische Werte im gesamten Stadtgebiet für die Planung herangezogen wurden, haben die Studentinnen die Versorgung in einzelnen Bonner Quartieren genauer unter die Lupe genommen. Sie konnten zeigen, dass die Zahl der Kinder pro Kinderarzt oder Kinderärztin in Bonn sehr ungleich ist. Zusätzlich hat die Gruppe die Offenheit für Neupatient*innen untersucht. Wie schnell gelangt man wo in kinderärztliche Betreuung und wo dauert es länger? Auch ihre Ergebnisse zeigen Versorgungslücken auf, die auf dem Weg zu mehr Gesundheitsgerechtigkeit geschlossen werden müssen.

Toller Start

Finja Hinrichs vom Gesundheitskollektiv Bonn ist begeistert von der Breite der fünf Themen, die sich die Studierenden im Seminar n für den Gesundheitsatlas erarbeitet haben. „Das ist ein toller Start und motiviert hoffentlich Studierende und Forschende, daran weiter zu arbeiten. Die Vision ist ja, für möglichst viele Felder einen Atlas für ganz Bonn präsentieren zu können.“ Am Gesundheitsatlas interessierte Institutionen und Personen sind eingeladen, sich mit ihren Rückfragen an die beiden Dozenten des Projektseminars zu wenden oder auch dann, wenn ein Interesse an künftiger Projektbeteiligung besteht.

Service Learning

Lehrveranstaltungen im Bereich des Service-Learnings wie diese im Studienfach Geographie mit Dr. Anna-Schoch-Baumann und Prof. Dr. Carsten Busch führen Studierende schon vor dem Bachelor-Abschluss an Forschendes Lernen im Dienst gesellschaftlicher Akteur*innen heran. In Projektseminaren entwickeln Studierenden eigene Forschungsfragen und lernen Methoden und Geräte zu deren Bearbeitung kennen.
Jovana Kovic hatte sich gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Maren Misiorny mit den Recherchen zur Verteilung der Kinderarztpraxen befasst und dabei nicht zuletzt auch gelernt, wie schwer es ist, belastbare Antworten aus einer Umfrage zu destillieren. Eine treffende Frage zu formulieren, ist dabei nur die erste Herausforderung; die Antworten darauf zu klassifizieren, schon wieder eine neue. Und tatsächlich die Zielgruppe zu erreichen und zu einer Antwort zu bewegen, das war diesmal die kniffligste Hürde, erklärt die Studentin: „Wir haben mit einer ausgefeilten Online-Umfrage begonnen, sind dann infolge der zunächst spärlichen Rückläufe immer analoger geworden und schließlich haben wir persönliche Besuche in Kindergärten gemacht.“ Dann lagen immerhin 140 vollständig beantwortete Fragebögen vor, aus denen sich viele wertvolle Informationen destillieren ließen.

Geographien von Gesundheit

Forscher, Forscherinnen und Studierende arbeiten im Sommersemester 2026 in einem Seminar weiter am Bonner Gesundheitsatlas. Dr. Anna Schoch-Baumann: „Ein zentrales Ergebnis unseres Projektseminars ist, dass es jetzt einen Ort gibt, an dem das Wissen, das hier am Institut zu Geographien von Gesundheit in Bonn produziert wird, in einem einheitlichen Format bereitgestellt werden kann. Damit können Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Personen aus dem Gesundheitswesen und auch die Bevölkerung arbeiten. Der Gesundheitsatlas ist der Anfang einer öffentlich zugänglichen, barrierearmen Informationsquelle für räumlichen Perspektiven auf Gesundheitsfragen in Bonn.“

Dachgeschoss untersucht
Dachgeschoss untersucht - Je kühler, desto wohlhabender. Anders als vor hundert Jahren haben die allermeisten Menschen in Bonn heute ein geheiztes Domizil. Heute ist aber zunehmend der Hitzeschutz ein gefragtes Gut. Und hier gilt offenbar: Je wohlhabender, desto mehr Kühlung ist möglich. Dachgeschosswohnungen sind günstiger, aber in den meisten Fällen auch deutlich stärker von Hitze betroffen. Temperaturunterschiede betragen an heißen Tagen mehrere Grad. © Colourbox
Kinderärztlicher Versorgungsgrad
Kinderärztlicher Versorgungsgrad - Jovana Kocic und Maren Misiorny untersuchten, wie es um die Chance steht, als Neu-Patientin bei einem Kinderarzt oder einer Kinderärztin aufgenommen zu werden. Dazu haben sie zunächst die räumliche Verteilung der kinderärztlichen Praxen in Bonn recherchiert. Je weiter man sich vom Zentrum entfernt, desto weniger kinderärztliche Angebote gibt es. © Jovana Kocic, Maren Misiorny
Studierende des Bachelor-Seminars mit dem fertigen Gesundheitsatlas Bonn
Studierende des Bachelor-Seminars mit dem fertigen Gesundheitsatlas Bonn © Anna Schoch-Baumann
Der Gesundheitsatlas Bonn ist erschienen
Der Gesundheitsatlas Bonn ist erschienen © Carsten Butsch

Hier kann der neue Gesundheitsatlas Bonn herunter geladen werden. 

Apl. Prof. Dr. Carsten Butsch 
Dr. Anna Schoch-Baumann 

Geographisches Institut der Universität Bonn
Meckenheimer Allee 166, 53115 Bonn 

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